06.11.2015
Presse Archiv
Frankfurt am Main, 02.11.2015
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) wirft der EU-Kommission extremen Etikettenschwindel vor. Unter der Überschrift „Ein vertiefter und fairerer Binnenmarkt“ („A deeper and fairer Single Market“) kündigte sie vergangene Woche ein neues Programm an. Hinter dem schön klingenden Titel verbirgt sich jedoch der Vorschlag für ein Binnenmarktpaket mit noch mehr Deregulierung und neuen Einfallstoren für Sozialdumping in der EU. Die IG BAU fordert die EU-Kommission auf, dieses Paket umgehend zurückzuziehen.
„Das Programm greift die Arbeitnehmerrechte an. Durch die Hintertür soll das bereits 2006 am Widerstand der Gewerkschaften weitgehend gescheiterte Herkunftslandprinzip offenbar doch noch eingeführt werden. Es wird der EU-Kommission aber auch diesmal nicht gelingen. Wir werden uns mit aller Kraft gegen einen Freifahrtschein für Sozialdumping in der EU wehren“, sagte der IG BAU-Bundesvorsitzende Robert Feiger.

„Wir sind bitter enttäuscht von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der erklärtermaßen Europa sozialer machen wollte. Unter dem derzeitigen Ratsvorsitz seines Heimatlandes Luxemburg sollte die EU eigentlich fit gemacht werden für den Triple-A-Sozialstatus. Offenbar sind das alles nur hohle Phrasen. Das Binnenmarktprogramm beweist, dass die EU-Kommission weiter an ihrem neoliberalen Dogma klammert. Sie opfert die Rechte der Beschäftigten den Interessen der Wirtschaftslobby. Ohnehin ist das Vertrauen in die EU angesichts ihrer Unfähigkeit im Umgang mit den Flüchtlingen stark erschüttert. Diese Binnenmarkt-Politik droht jetzt auch noch den Rest an Sympathie für ein gemeinsames Europa zu zerstören. Jean-Claude Juncker ist dabei, das historische Projekt gegen die Wand zu fahren.“

Der Vorschlag sieht unter anderem vor, die Gründung von Ein-Personen-Gesellschaften zu ermöglichen und leistet damit Betrug durch Briefkastenfirmen und Scheinselbstständigkeit Vorschub. Zudem ist ein sogenannter Dienstleistungs-Pass (services passport) geplant. Ausdrücklich nimmt die EU-Kommission dabei den Bausektor ins Visier. Ihrer Meinung nach gibt es noch immer zu große Hürden im grenzüberschreitenden Handel mit Baudienstleistungen. So soll der Pass die für bestimmte Berufe vorgeschriebenen Qualifikationsnachweise – zu denken ist hier etwa an den Meisterbrief in Deutschland – schleifen.

Unternehmen könnten sich zudem künftig in jedem Mitgliedstaat bestätigen lassen, dass sie die Gesetze des Ziellandes einhalten. Am Ende könnte damit beispielsweise eine bulgarische Behörde rechtsbindend bestätigen, dass das Unternehmen seinen in Deutschland arbeitenden Beschäftigten den Mindestlohn zahlt. Ferner droht die EU-Kommission an, bei Bedarf in Versicherungsanforderungen für Baudienstleister einzugreifen. Eine vernünftige Absicherung von Arbeitnehmern und der Arbeits- und Gesundheitsschutz bleiben dabei auf der Strecke.

„Europa braucht wieder Herz“, sagte Feiger. „Die EU-Kommission muss es dringend schaffen, dass der gemeinsame Markt Verbesserungen für alle bringt und in der EU nicht die Schwachen gegen die noch Schwächeren ausgespielt werden. Nur wenn alle Menschen in ihrem Alltag erleben, dass sich ihre Situation dank der EU verbessert, werden sie das Zusammenwachsen Europas akzeptieren und unterstützen.“